Ende Oktober wurde in der «Zuger Zeitung» und in den anderen CH-Media-Publikationen bekannt gemacht, dass im Marvoe River in Liberia ein Fischsterben aufgetreten ist. Ursache dafür war eine erhöhte Konzentration von freiem Cyanid im Wasser, die die zulässigen Grenzwerte weit überschritt. Cyanid ist ein hochgiftiger Stoff, der in der Goldgewinnung eingesetzt wird und nicht nur Menschen schadet, sondern auch Fische töten kann, auf welche die Gemeinden entlang dieses Flusses als Lebensgrundlage angewiesen sind.
Was hat dies nun mit der Schweiz zu tun? Das Gold aus einer Mine, die sich am Marvoe River befindet, findet den Weg in die Schweiz, genauer gesagt in die Tessiner Raffinerie des Genfer Rohstoffunternehmens MKS Pamp. Diese Tessiner Raffinerie verarbeitet jährlich Hunderte von Tonnen Gold und ist seit 2016 alleiniger Abnehmer des Goldes aus der Mine, welche im nun verseuchten Gebiet entlang des Flusses liegt.
Bis hierhin ist die Geschichte nicht ungewöhnlich: Globale Lieferketten verflechten Unternehmen aus verschiedenen Ländern, und es ist schwer, den Ursprung von Produkten zu verfolgen. Die Frage, die sich stellt, ist, ob die Raffinerie genügend Sorgfalt walten lässt, um sicherzustellen, dass das Gold, das sie verarbeitet, ethisch und umweltfreundlich abgebaut wird. Die Antwort ist entscheidend, denn wir sprechen nicht nur über die Umweltverschmutzung in Liberia, sondern auch über die Reputation der Schweizer Wirtschaft und die Frage, ob wir unseren eigenen Standards gerecht werden.
Hier kommen wir zu einem grösseren Problem: Die aktuelle Schweizer Gesetzgebung im Bereich Konzernverantwortung ist unzureichend und zahnlos. Die Tatsache, dass ein Schweizer Unternehmen seit Jahren das gesamte Gold aus einer liberianischen Mine bezieht, während dort Umweltkatastrophen und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert sind, sollte die Alarmglocken schrillen lassen.
Die Konzernverantwortungsinitiative, welche 2020 in der Schweiz nur knapp am Ständemehr scheiterte, hätte eine Lösung bieten können. Ein Hauptargument der Gegner war, dass die Schweiz mit der Initiative einen Alleingang wage, was der einheimischen Wirtschaft schade und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährde.
Seit 2020 hat sich die Ausgangslage um einiges verändert. In der Tat sind andere Länder der Schweiz in dieser Hinsicht jetzt einen Schritt voraus. Deutschland und Norwegen haben bereits Gesetze zur Konzernverantwortung eingeführt, und die EU plant, dies ebenfalls zu tun. Diese Gesetze zielen darauf ab, Unternehmen und Zulieferer zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu verpflichten und sehen Sanktionen für Verstösse vor. Damit geht die EU mit ihrer geplanten neuen Richtlinie, welche innerhalb von zwei Jahren von allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, in einigen Punkten gar weiter als die Schweizer Initiative.
Sollte Anfang 2024 also wie erwartet die neue EU-Richtlinie verabschiedet werden, besteht in der Schweiz dringender Handlungsbedarf. Das erneute Beispiel aus Liberia sollte als Weckruf dienen: Es ist an der Zeit, dass die Schweiz ihre Regeln zur Konzernverantwortung überarbeitet und sicherstellt, dass Unternehmen, die von unserem Land aus operieren, in einer globalisierten Welt verantwortungsbewusst handeln. In den kommenden Jahren, im internationalen Gleichschritt, wäre für die Schweiz der richtige Zeitpunkt dazu.